Heilen mit einem der ältesten Lebewesen der Welt – die Kraft der Medizinalpilze
Heilen mit einem der ältesten Lebewesen der Welt – die Kraft der Medizinalpilze
Im Spätsommer und im Herbst gehe ich gerne mit meiner Familie oder auch mit Freunden in den Wald, um Pilze zu suchen. Rund um Tübingen, ob im Schönbuch oder im Rammert, kann man dann fündig werden: Steinpilze, Pfifferlinge, die skurril aussehende Krause Glucke, der mächtige Schirm des Parasolpilzes, ein paar Butterpilze, dazwischen Maronen. Mit ein wenig Ausdauer und geschärftem Blick lässt sich fast immer etwas finden. Es gibt sehr verschiedenartige Pilze mit ganz unterschiedlichen Inhaltsstoffen. Ein wichtiger Unterschied ist uns allen vertraut: essbar/nicht essbar. In der Pilzzeit habe ich in Tübingen Apotheken gesehen, die sich als Pilzberatungsstelle anbieten, um einen Sammelfund durchzuschauen. Das kann ein wertvoller „lebensverlängernder Dienst“ sein.
Hier geht es heute um sogenannte Medizinalpilze. Ich werde Ihnen drei vorstellen. Sie werden in der naturheilkundlichen Praxis eingesetzt. Man spricht dann von Mykotherapie (griech. mycos heißt Pilz). In der Mykotherapie greift die Naturheilkunde auf uralte Erfahrungen zurück. Schon vor 4000 Jahren setzten die Chinesen Pilze als Heilmittel ein. Auch in der mittelalterlichen europäischen Klostermedizin waren Pilze hoch geschätzt. Erst langsam kehrt dieses alte Erfahrungswissen um die Kraft der Medizinalpilze wieder in unser Heilwissen zurück. Führend sind dabei fernöstliche Länder, China und Japan vor allem. Aus diesen Ländern stammen auch die meisten klinisch-empirischen Studien. Unter der Bezeichnung „Traditionelle Chinesische Medizin“ (TCM) finden diese Erkenntnisse in die naturheilkundliche Behandlungspraxis Eingang.
In einer Hinsicht unterscheidet sich die TCM grundlegend von der uns gewohnten westlichen Behandlungspraxis. Stellen Sie sich vor, ein Patient beträte, eine Praxis und antwortete auf die Frage, was ihm denn fehle, mit: „Nichts“. Auf den überraschten Blick des Therapeuten fügte er dann hinzu: „Ich möchte, dass es so bleibt, und dabei sollen Sie mich unterstützen“. In unseren Breiten wäre ein solcher Patient ein ziemliches Kuriosum. Bei uns geht man meist erst zum/zur Therapeuten/in, weil man krank ist. Im Regelfall will man Medikamente, die die lästigen Symptome unterdrücken, den Schaden eingrenzen und ihn möglichst rasch beheben. Im Rahmen der TCM geht man nicht erst zum/zur Therapeuten/in, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist, vielmehr lässt man sich behandeln, um dem Schadensfall vorzubeugen. Ein zentrales Behandlungsanliegen der TCM ist deshalb die Stärkung der Abwehrkräfte eines Menschen. Es gilt das Abwehrsystem energetisch zu stabilisieren und gegebenenfalls zu sanieren. Der/die TCM-Therapeut/in wird für die Aufrechterhaltung der Gesundheit eines/er Patienten/in entlohnt. Das ist doch eine großer Unterschied zum uns Gewohnten – oder?
In der TCM spielen Pilze eine wichtige Rolle. Bevor ich drei Pilze näher vorstelle, möchte ich noch etwas sagen, das für alle gilt. Für die starke Wirkung der Medizinalpilze sind bestimmte Inhaltsstoffe verantwortlich. Da sind die Vitamine (z.B. Vitamin C, Thiamin/B1, Riboflavin/B2, Niacin/B3, Biotin/B7, Folsäure/B9, Ergosterin) und deren Kombinationen. Da sind Mineralstoffe und Spurenelemente (Kalzium, Zink, Eisen, Kalium, Magnesium). Da sind wichtige Aminosäuren und der hohe Anteil an Polysacchariden (Mehrfachzuckern). Diese Polysaccharide (Beta-D-Glucane) regulieren das Immunsystem und stärken dadurch die körperliche Belastbarkeit. In einigen klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass diese sehr variablen Mehrfachzucker dem Entstehen von Krebszellen entgegenwirken. Darüber hinaus hemmen sie Entzündungsprozesse, senken den Blutdruck und normalisieren die Blutzucker- und Blutfettwerte. In neuester Zeit wird vor allem erforscht, ob und in welcher Weise Pilzextrakte auch antivirale, antibiotische und antiallergische Wirkungen haben. Es sei hier nur daran erinnert, dass ein sehr wichtiges und altes Medikament, das Penicillin, 1928 von Alexander Fleming aus zufälligen Beobachtungen der Wirkungen eines Schimmelpilzes (Penicillium notatum) entwickelt wurde.
Medizinalpilze werden in drei unterschiedlichen Formen dargereicht: als Pulver in Kapseln, gepresst in Form von Tabletten und als (manchmal) wohlschmeckender Tee. Die Medizinalpilze werden heute unter strengen, teils auch biologischen, Vorschriften kultiviert und zu Mykotherapeutika verarbeitet.
Agaricus blatei Murrill
Dieser Pilze, auch Sonnen- oder Mandelpilz genannt, erhielt seine lateinischen Namen nach seinem Entdecker, dem Biologen William Alphonso Murrill. Die ursprüngliche Heimat dieses Pilzes ist der Regenwald Brasiliens.
Kaum ein anderer Medizinalpilz stimuliert das Immunsystem so stark wie er. Er wird vor allem bei der Krebsprävention zum Immunmodulation eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind: Verdauungsstörungen, Diabetes, Bluthochdruck, allergische Reaktionen, Abwehr von Erkältungen. Ein sehr spezielles Einsatzgebiet ist das Abschwächen einiger Nebenwirklungen der Chemo- und der Strahlentherapie.
Reishi
Er wird hierzulande auch glänzender Lackporling genannt. Die Chinesen gaben diesem recht geheimnisvoll aussehenden Pilz den Namen „Göttlicher Pilz der Unsterblichkeit“. Schon die Namensgebung lässt erkennen, dass ihm ganz besondere Qualitäten zugeschrieben werden. Er gilt in Asien als eines der ältesten und wirkvollsten Heilmittel. Diesbezüglich überragt er noch die Wertschätzung der Ginseng-Wurzel. Der Reishi verspricht, die Alterungsprozesse zu verlangsamen und die spirituelle Kraft zu erhöhen („Pflanze mit spiritueller Kraft“). So dient er einem körperlich gesunden und geistig lebendigen langen Leben. Im Jargon unserer Tage ließe sich sagen, der Reishi ist ein „Anti Aging“-Mittel.
Neben dieser Breitenwirkung werden dem Reishi (in China dann Ling Zhi genannt) verschiedene spezifische Wirkungen zugeschrieben: Regulierungen des Blutdrucks und der Blutfettwerte, Beheben von Schlafstörungen, Vermeiden von Allergien und Entzündungen. Schließlich wird der Reishi auch in der adjuvanten Krebstherapie eingesetzt.
Shiitake
In dem Pilz (lat. lentinula edodes) vereinen sich Wohlsein und Wohlempfinden. Er ist einer der beliebtesten Speisepilze der Welt. Als „König der Pilze“ erfreut er in Asien seit 2000 Jahren die Gaumen. Aber auch die Nasen kommen nicht zu kurz. Unter dem Namen Shainguru gilt er in China als „duftender Pilz“. Wie schön, dass dieser Pilz den Menschen auch noch gesundheitlich gut tut.
Die immunstimulierende Wirkung des Shiitake ist wissenschaftlich gesichert. Er wird in der Krebstherapie eingesetzt. Vor allem ist es der Wirkstoff Lentinan, der hier Beachtung findet. Er ist Bestandteil bekannter Krebsmittel. Ein anderer Wirkstoff ist das Ertitadenin. Sein regulativer Einfluss auf den Blutfettspiegel ist wissenschaftlich erwiesen. Weiterhin wird der Heilpilz zur Behandlung von Osteoporose, Gicht und Arthritis eingesetzt. Auch dem Aufbau und dem Erhalt einer gesunden Darmflora soll er dienen.
Für alle hier besprochenen Medizinalpilze gilt, dass sie sehr gut verträglich sind. Es gibt kaum Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln. Die Pilzheilmittel (Pulver in Kapseln oder Tabletten) werden meist vor der Mahlzeit mit reichlich Wasser eingenommen. Man kann sie als Kur (bis zu 6 Monaten) verabreichen, aber auch noch darüber hinaus. Es ist allerdings anzuraten, sich vor einer Therapie bei einem/r naturheilkundlichen Therapeuten/in gründlich untersuchen zu lassen, um etwa den aktuellen Stand des Immunsystems festzustellen. Dann können Medizinalpilze gezielt ausgesucht, zusammengestellt und dosiert werden, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Zudem sollte auch eine solche Behandlung laufend begleitet werden: Wie wirkt die Behandlung? Entsprechen die Wirkungen den Erwartungen? Ist es sinnvoll die Behandlung zu verändern? Wie wirkt diese Veränderung? Und so weiter. Jeder Mensch ist einzigartig. An diese Einigartigkeit muss man sich als Therapeut/in jeweils herantasten. Das verlangt nach Achtsamkeit und manchmal auch nach Geduld.
Jan Laucken, Heilpraktiker
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